Autogenes Training

Ich bin in der Salze-Klinik in der „Reha“. Neues Knie. Ich darf gar nicht erzählen, wen ich aus dem Kreis der Golfsenioren dort alles getroffen habe. Das verletzt das Arzt – Geheimnis.
Ich bin der Meinung, künstliche Gelenke müssten Handikap wirksam sein. Für ein Titan – Knie geht es dabei drei Stablefordpunkte runter, für eine neue Hüfte zwei runter. Für Schulter – oder Rückgrat – OP gibt es noch mal jeweils einen. So mancher hätte auf einen Schlag ein einstelliges Handikap.
Also: ich bin in der Reha! Heute steht auf dem Programm: Autogenes Training.
Dicht gedrängt liegen wir nebeneinander auf grauen Matten, die den Schweiß von ca. 2000 Vorgängern in sich aufgesogen und noch nicht wieder abgegeben haben. Ich räkele mich trotzdem und harre der angeblichen Heilung meines Seelenlebens.
Von vorne ertönt eine einschmeichelnde, melodiöse Stimme mit Trainingsanweisungen einer jungen Dame.
„Gaaaanz tief einatmen.“
Ich versuche pflichtgemäß, die Luft gaaanz, gaaaanz tief einzusaugen. Von meinem Nachbarn her steigt mir der süßlich- säuerliche Geruch eines gediegenen Schweißfußes in die Nase.
Von vorne tönt es sanft:
„Und noch einmal: durch die Nase gaaaanz tiiiiief einatmen.“
Ich atme nicht tief ein, und schon gar nicht durch die Nase.
Nun singt die Stimme:
„Meine Aarme werden schweeeerer und schweeeerer.“
Bei mir nicht. Dafür wird die Luft schwerer und schwerer.
Jetzt soll ich zusehen, dass meine Beine gaaanz schwer werden. Das kenne ich, ab Bahn 10 werden die Beine auch immer ganz schwer. Wieso jetzt nicht?
„Mein ganzer Körper ist ruhig und gelöst.“
Mein Nachbar ist besonders ruhig und gelöst. Er schnarcht vor sich hin, und bei jedem Röcheln bebt sein ganzer Körper.
Dennoch. Allmählich fühle ich mich locker und entspannt und denke an Sex. Ich denke an Pamela Anderson und beginne mich und sie im Geiste langsam zu entkleiden.
Die blöde Kuh da vorne macht mir wieder alles kaputt:
„Wir sind ganz entspannt und denken an nichts.“
Ärgerlich, wurde grade interessant.
Wie kriegen die andern das bloß hin, an nichts zu denken?
„Heute machen wir eine Phantasiereise durch die wunderschöne Natur“.
Ich ziehe mich in Gedanken wieder an, ich kann doch nicht nackend durch die Gegend rennen. Auf die Schnelle kann ich nicht erkennen, ob sich Pamela auch wieder angezogen hat.
„Wir gehen durch ein großes, schmiedeeisernes Tor und kommen auf eine lange Allee mit hohen Bäumen.“
Ich sehe weder das Tor noch die Allee noch die Bäume. Wenn wenigstens Pamela Anderson vorbeikäme!
„Vor uns taucht ein wunderschöner, rosa blühender Oleanderstrauch auf.“
Verdammt noch mal, wie sehen Oleandersträuche aus? Ob man zur Not auch Stachelbeersträuche nehmen kann? Oder Pamela Anderson ?
„Wir lauschen in uns hinein und hören auf das Summen unserer verborgenen Seele“.
Ich lausche. Ich horche auf Klopfzeichen meines verschütteten Ichs. Nichts rührt sich. Halt! Doch! Meine Blase rührt sich und meldet: Muss pinkeln. Ich versuche die Meldung zu ignorieren, denn schließlich müssen wir weiterwandern.
„Wir treten auf eine Anhöhe und sehen vor uns eine wunderschöne Wiese.“
Ich versuche mir gerade eine Anhöhe und eine wunderschöne Wiese vorzustellen, plötzlich stehe ich auf dem Abschlag der Eins. Na endlich, es geht doch. Mit wem ich wohl spiele? Da sehe ich Harald und Stephan. Na bravo, heute spiele ich mit der Crème de la Crème. Beide haben schon abgeschlagen und ihre Bälle liegen hinten auf dem Fairway.
Gerade will ich meinen Abschlag machen, da tönt von vorne die Stimme:
„Wir gehen geradewegs auf die Wiese zu!“
Mist, nicht mal seinen Abschlag kann man hier in Ruhe machen. Aber irgendwie bin ich froh, sicherlich wäre der Drive wieder nichts geworden. Bei den Gerüchen um mich rum!
Meine Blase meldet sich wieder, und ich schiffe in Gedanken an den Oleanderstrauch, von dem ich nicht mal weiß, wie er eigentlich aussieht. Hoffentlich guckt nicht grade Pamela Anderson.
Der Typ neben mir auf der Matte schnarcht und röchelt.
Und es stinkt. Mir ist schleierhaft, wie Stephan und Harald bei diesem Gestank so gutes Golf spielen können.
Von vorne meldet sich wieder die Tussi:
„Wir wandern weiter über die Wiese und sehen hoch zu den Vögeln.“
Wie auf Stichwort taucht wieder Pamela Anderson auf. Ob die eigentlich immer nur bei mir rumlungert? Vermutlich spielen andere bei dem Stichwort ein Birdie.
“Vor uns taucht ein wunderschöner Apfelbaum mit rosafarbenen Blüten auf.“
Meine Blase meldet sich wieder, sie hat wohl Baum gehört. So eine rechte Entlastung war das mentale Pinkeln hinter den Oleanderstrauch eben doch nicht. Hoffentlich ist bald Abpfiff bei dieser Seelensuche!
Auf welcher Bahn wir wohl inzwischen sind?
„Nun sehen wir einen See mit blauem, klarem Wasser.“
Na also, denke ich, jetzt sind wir auf der Drei A. Aber von wegen See mit blauem Wasser. Das ist ein hässlicher Tümpel, in dem dauernd meine Bälle verschwinden!
Harald und Stephan liegen schon wieder mit dem Zweiten auf dem Grün. Mein Vierter hat sich gerade mit einem hörbaren „Platsch“ ins Wasser verabschiedet.
Es ist zum Verzweifeln. Nicht mal beim autogenen Training kriege ich die Schläge richtig hin.
„Wir schauen in die Ferne, sehen im Hintergrund einen sanften Gebirgszug und genießen die Schönheit der Natur. In einiger Entfernung plätschert ein kleiner Bach.“
Ach, das ist dieses dämliche Flüsschen auf der Fünf, denke ich.
Die Dame da vorne kennt sich noch nicht mal mit den richtigen Begriffen aus, das ist kein Bach, das ist ein Wasserhindernis mit Biotop.
Stephan und Harald sind schon wieder drüber. Mein Abschlag ist gerade in der Luft und das Schlimmste zu befürchten, da kommt von vorne die Anweisung:
„Wir gehen einen kleinen Berg hoch und kommen etwas ins Schnaufen!“
Nanu, denke ich, sind wir jetzt wieder auf der Zwei? Das kann doch nicht sein!
Ich verliere allmählich die Orientierung.
„Wir legen uns erschöpft ins hohe Gras und lassen Gedanken, die kommen, vorüberziehen wie Wolken an einem strahlend blauen Himmel.“
Ich habe zu solchem Firlefanz keine Zeit. Ich muss im hohen Gras meinen Ball suchen. Natürlich finde ich ihn wieder nicht. Wie soll man die Wutgedanken, die einem kommen, vorüberziehen lassen wie Wolken an einem strahlend blauen Himmel?!
„Nun erheben wir uns ausgeruht und treten auf eine lange Waldlichtung, die von hohen Bäumen umsäumt ist.“
Gott sei Dank sind wir jetzt schon auf der Zwölf, meiner Lieblingsbahn. Vor meinem geistigen Auge sehe ich, dass wir alle drei unsere Bälle sauber auf das Grün platziert haben. Alle drei tänzeln wir um das schwarze kleine Loch herum, um zu sehen, wie wir es am besten machen können. Wieso taucht da plötzlich wieder Pamela Andersen auf?
Ich verscheuche sie aus meinem Gehirn, schließlich habe ich jetzt Wichtigeres zu tun.
Harald und Stephan treffen direkt ins Schwarze, ich erst auf Umwegen.
Hoffentlich hat das Huhn da vorne bald ein Einsehen mit mir. Mir platzt bald die Blase, Pamela Anderson ist beleidigt abgezogen, und meine beiden Kumpel haben wieder ein Par gespielt.
Da, die Endphase unserer Phantasiereise wird offensichtlich eingeläutet.
„Jetzt kehren wir wieder langsam in den Raum zurück und recken und strecken uns.“
Alles räkelt sich, der Schnarcher neben mir muss geweckt werden.
Nun wird reihum gefragt, wie es war. Alle fanden es toll. Sie haben bunte Blumen gesehen, und Oleandersträuche, und einen Apfelbaum mit rosa Blüten.

Ich bin dran. Auch ich fand alles ganz toll. Und ich frage, ob ich beim nächsten Mal mit Karsten und Rainer im Flight spielen könne.

 

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Von Dr. Jörg Hellmann

Ex-Pauker, Ex-Fußballer, Ex-Tennisspieler, Golfspieler. Studierender des täglichen Lebens und der sich darin abstrampelnden Menschen. Darüber schreibe ich.