Das Ehepaar-Turnier

Der Golfplatz liegt in friedlicher Sonntagmorgenruhe. Die ersten Ehepaare treffen zum großen Turnier ein. Er und sie schnallen ihr Golf-Bag auf den Trolley, sie nennt ihren Klaus zärtlich Klausi, und er nennt seine Gerda Mausi. Gemeinsam geht man froh gelaunt zum Clubhaus hoch.
Beide begrüßen fröhlich die vielen Freunde. Entspanntes Geplauder mischt sich mit gespannter Vorfreude auf die kommenden Stunden. Über dem Golfplatz liegt eine Atmosphäre der Eintracht und Harmonie.
Klausi und Mausi stellen sich vergnügt dem anderen Ehepaar vor, mit dem sie im Flight spielen werden.
Im Plausch vermitteln alle vier den Eindruck äußerst glücklich verheirateter Partner.
„Wir sehen die Sache heute nicht so eng. Hauptsache wir haben Spaß.“
„Das sehen wir auch so!“
Gemeinsam bummelt man in Richtung Tee 1.
Mausi flüstert Klausi zu:
„In diesem Jahr wollen wir uns aber nicht wieder streiten!“
Klausi zu Mausi:
„Wir streiten nicht! Du streitest!“
Der Anfang ist gemacht!
Sie holt tief Luft und beißt sich auf die Lippe. Und sagt nichts.
Es geht los. Klausi schlägt ab, vom immer noch wohlwollenden Blick seiner Mausi unterstützt und legt den Ball sauber auf das Fairway. Wenig später macht sie es ihm nach. Er spielt ihren Ball weiter und platziert den zweiten Schlag elegant vor den Graben, sie schlägt den dritten Schlag Ball gefühlvoll auf das Grün. Klausi und Mausi spielen ein Par, und sie sehen sich verliebt an. Sie klatschen sich an den Händen ab. Er gibt ihr ein Bussi.
Mausi beschließt, die Sache heute doch nicht ganz so locker zu sehen, sie scheinen beide in überragender Form zu sein. Nach diesem grandiosen Auftakt will sie auch gewinnen.
Die zweite Bahn wird ebenfalls mit noblen Schlägen überwunden, und das traute Paar spielt ein weiteres Par. Nun nimmt auch er sich insgeheim vor, das Turnier gewinnen zu wollen.
Schadenfroh lauschen beide den Kommentaren des anderen Ehepaares:
„Das gibt es doch gar nicht!!“
„Was ist denn heute bloß los!“
Nach deren Strich auf Bahn Eins und einem Triple Bogey auf der Zwei haben Klausi und Mausi die ersten Konkurrenten bereits weit hinter sich gelassen.
Bahn drei verläuft leider etwas unglücklich, er trifft links den Bunker, sie rechts die Hecke.
„Nicht schlimm!“ haucht er ihr tröstend zu.
Sie haucht mit einem Hauch von Verärgerung zurück:
„Dein Ball liegt genauso belämmert!“
Der Ehrgeiz steigert den Adrenalinspiegel, der Adrenalinspiegel steigert die Streitlust.
Sie schlägt den zweiten Ball sicher aus dem ersten Bunker, sauber bis in den zweiten Bunker dahinter.
Sie sieht, wie er die Augen verdreht.
Nun ist er wieder dran. Er hat für seinen Schlag drei mögliche Ziele: das Grün, den Bunker links und den Bunker rechts. Er entscheidet sich für das Grün, der Ball entscheidet sich für den rechten Bunker. Er meint Triumph in ihren Augen zu erkennen.
Sie ist dran. Schon wieder so ein blöder Bunkerschlag: „Zieh voll durch!“ mahnt er.
Sie zieht voll durch, die Kugel landet hinter dem Grün im Unterholz.
„So nicht!“
„Weiß ich selber!“ Die Atmosphäre wird langsam ungemütlich.
Bei ihr setzt Schnappatmung ein.
Die anderen beiden haben ein Par gespielt.
Auf den folgenden Bahnen nimmt bei ihm die Verärgerung weiter zu, bei ihr die Verunsicherung. Erschwerend kommt hinzu, dass seine Schläge sehr ordentlich sind und ihre zunehmend mickriger. Seine zarten Hilfen: „Bleib jetzt ganz ruhig!“ bewirken das Gegenteil. Sie sinnt auf Rache.
Auf der Bahn 7. Das Par 3 Loch. Er bereitet sich auf den Abschlag vor.
Als er ausholt, ruft sie:
„Seht mal, da hinten ist ein Bussard!“
Er produziert eine „Lady“.
Er kocht.
Aber auf seine Lady wirkt die „Lady“ wie eine Befreiung. Sie fühlt sich besser.
Auf der Bahn 8 legt er seine ganze Wut in den Schlag über das Biotop. Wummm! Das Rasenstück schafft es über das Biotop, der Ball nicht.
Sie lästert:
„Die Richtung war gut, es fehlt nur etwas an Länge!“
Voller Grimm meckert er sie an:
„Diesen giftigen Ton hast du von deiner Mutter!“
Sie giftet zurück:
„Meine Mutter? Guck dir deine Mutter an, der kann ich nie was recht machen!“
Das andere Ehepaar genießt die Vorstellung.
Auf Loch 10 betet sie zum Golfgott, er möge ihren sogenannten Ehemann noch einmal wegen seines niederträchtigen Betragens bestrafen.
Sie wird erhört. Sein Ball entfernt sich sehr schnell von der Ideallinie und verabschiedet sich mit einem lauten Klack-Klack aus dem Spiel.
Sie sagt laut und vernehmlich:
„Das ist aber schade!“
Die Suche im Wald wird ergebnislos abgebrochen.
Nun werden auf beiden Seiten Kriegsvorbereitungen getroffen.
Auf der nächsten Bahn nehmen die gegenseitigen Sticheleien zu, dann verwandeln sich die Sticheleien in Stiche, und die Phase der offenen Feindseligkeiten beginnt. Man begreift, warum beim Golf so häufig von Schlägern und Schlägen die Rede ist.
Die Sätze beginnen mit:
„Das ist wieder typisch für dich!“ und mit
„Das ist doch wohl nicht dein Ernst!“
Die Wortwahl zeichnet sich durch den häufigen Gebrauch des Adverbs „dauernd!“ und des Nomens „Absicht!“ aus.
Inzwischen sind die Stiche durch gezielte Hiebe und Seitenhiebe ersetzt worden, schließlich wissen beide, wo der andere seine wunden Stellen hat. Man befindet sich in der offenen Feldschlacht.
„Halt doch mal deinen Schläger gerade!“
„Halt doch mal deine Klappe!“
Aus „Klausi“ ist inzwischen „Klaus!“ geworden und aus Mausi zuerst Gerda und schließlich „Mannomann!“
Auf der Bahn 13 solidarisieren sich die Geschlechter:
„Meine Frau spielt heute einen Mist zusammen!“
„Meine auch!“
„Ich bringe meinen Mann noch mal um!“
„Ich meinen auch!“
Auf der Bahn 14 ist ihr zweiter Schlag semi-optimal und landet im Semirough.
„Kein Wunder, wie du gestanden hast!“ raunzt er.
Sie hat ohnehin gerade das Eisen 7 in der Hand.
,Warum erledige ich ihn eigentlich nicht gleich an Ort und Stelle?´
Sie verwirft diesen Gedanken wegen der Kinder.
Auf den nächsten beiden Bahnen überlegt Klaus, ob er nicht mal seine Sekretärin fragen sollte, was sie von einer gemeinsamen Runde Golf hielte. Und bei der Gelegenheit könne er sie auch gleich mal was anderes fragen.
Gerda entscheidet auf denselben Bahnen derweil, gleich am Dienstagmorgen den Anwalt aufzusuchen, um mit ihm über die Scheidungsmodalitäten zu verhandeln. Sie will das halbe Haus und seine Golfausrüstung!
Auf der Bahn 17 mit dem fürchterlichen, nach allen Seiten hängenden Grün spielen Klaus und Gerda ein Par, und die Atmosphäre entspannt sich ein wenig. Und dann, auf der Bahn 18, gelingt ihnen ein Birdie. Klausi und Mausi beglückwünschen sich überschwänglich. Sie klatschen sich an den Händen ab.
Beide bedanken sich freundlich bei dem anderen Ehepaar für das schöne Spiel und dass man hoffentlich bald mal wieder zusammenspielen könne.
Vielleicht im nächsten Jahr beim Ehepaarturnier. Und Klausi gibt seiner Mausi einen dicken Kuss.

 

Von Dr. Jörg Hellmann

Ex-Pauker, Ex-Fußballer, Ex-Tennisspieler, Golfspieler. Studierender des täglichen Lebens und der sich darin abstrampelnden Menschen. Darüber schreibe ich.