Taktikunterricht

Taktikunterricht

„Männer!“
Der Trainer gab seiner Stimme einen markigen Unterton. Das tat er immer, wenn der ernst genommen werden wollte.
“Das Spiel am letzten Wochenende war große Scheiße! Sechs zu null verloren! Zuhause!”
Dieser Meinung hatten sich auch die 34 Zuschauer am Vorsonntag angeschlossen, soweit sie Anhänger der Heimmannschaft gewesen waren. Der 22 Mann starke Anhängerblock des Nachbardorfes hatte dagegen ein Klassespiel gesehen.
“Männer, wir müssen unsere Taktik ändern!”
Der Trainer baute umständlich eine alte Kreidetafel auf und nahm den abgegriffenen kleinen Kreidefummel in die Hand, den er extra mitgebracht hatte.
Der Trainer malte umständlich vier Kreuze auf die Tafel.
“Hinten spielen wir heute mit einer Viererkette.”
Der Trainer wusste, dass er seine Informationen an der Aufnahmefähigkeit des Beschränktesten unter seinen Spielern richten musste.
“Habt Ihr verstanden?”
Seine Jungs nickten, was sollten sie auch anderes machen.
„Wir sparen diesmal den Libero ein!“
„Und was wird aus mir?“, fragte ganz zaghaft der Libero.
„Du kommst auf die Bank!“
Der Betroffene zuckte zusammen.
Der Trainer dröhnte: „Ob du dich hinten ausruhst oder auf der Bank, ist doch wohl egal!“
Der Libero zuckte erneut zusammen. Die Kritik an seiner Laufarbeit war nicht von der Hand zu weisen, er hatte sein Trikot nach dem Spiel gleich wieder in den Mannschaftskoffer legen können.
Der Trainer blickte seinen Libero scharf an:
„Ihr habt nicht zu verstehen, was ich sage, ihr habt es hinzunehmen!“
In der Kabine konnte man eine Stecknadel fallen hören.
Der Trainer hob den Ellenbogen und hieb mit der Faust ein paarmal heftig nach vorne in die Luft.
„Ansonsten agiert die Viererkette wieder mit unserer bewährten drei D – Taktik: Dran, drauf, drüber!“
Der Trainer ließ seine Augen über die Mannschaft schweifen und erfreute sich an der Wirkung seiner Worte!
„Auch im Mittelfeld spielen wir diesmal mit einer Viererkette!“
Dabei hieb er mit seiner Kreide auf die Tafel, wo er soeben vier Kreuze nebeneinander gemalt hatte.
„Da heißt es laufen, laufen und laufen, bis Euch das Salzwasser im Hintern kocht!“
Seine Jungs liebten solch klare Ausdrucksweise.
Der Trainer kam immer mehr in Fahrt: „Heute heißt es Ärmel hochkrempeln.“
„Trainer, wir spielen kurzärmelig!“ beharrte der Torhüter.
Der Mannschaftsführer, Germanistikstudent im 15. Semester, schritt ein: „Der meint das doch im metaphorischen Sinne!“
Die Bemerkung trug in diesem Kreise nicht unbedingt zur Erhellung des Sachverhalts bei.
Der Trainer brüllte: „Haltet endlich eure Klappe! Wir sind hier nicht auf einer Parteiversammlung der Grünen!“
Die Mannschaft duckte sich.
Nun holte der Trainer zum entscheidenden taktischen Geniestreich aus:
„Und vorne spielen wir mal wieder mit drei Spitzen.“
Zack, drei Kreuze auf die Tafel gezaubert.
„Wir spielen ganz altmodisch mit Linksaußen, Mittelstürmer und Rechtsaußen! Mir doch scheißegal, ob die da draußen schreien, das sei unmodern!“
„Trainer“, meldete sich der Mannschaftsführer, „das ist ein Mann mehr!“
„Genau!“ lobte ihn der Trainer, „darauf kommt es an, dass wir in Ballnähe immer einen Mann mehr haben. Das ist der Sinn meines neuen taktischen Konzeptes!“
Beschwörend hob der Trainer die Hände.
„Beim letzten Spiel haben die Zuschauer da draußen uns ausgepfiffen, gnadenlos. Ich möchte, dass sie wieder hinter uns stehen wie ein Mann.“
Eingeschüchtert unternahm der Mannschaftsführer einen neuen Versuch:
„Trainer, das sind zwölf!“
„Sag ich doch. Die da an der Seitenlinie, die müssen hinter uns stehen wie der zwölfte Mann!“
Die Stimme des Trainers hatte noch weiter an Lautstärke zugenommen und ließ jeden Widerspruchsgeist endgültig verstummen. Er sah die Spieler wütend an:
„Wenn ihr glaubt, ihr habt einen Blöden vor Euch, seid ihr bei mir an der richtigen Adresse!“ Das saß!
„Ich will, dass ihr da draußen Vegetarier werdet und 90 Minuten Gras fresst!“
Torhüter zaghaft: „In unserem Sechzehner wächst kein Gras mehr!“
Mannschaftsführer: „Metaphorisch!“
Torhüter: „Ach so!“
„So, Männer und jetzt möchte ich in den folgenden 90 Minuten sehen, dass sich jeder Spieler an mein taktisches Konzept hält. Sonst reiße ich ihm anschließend den Arsch bis zum Stehkragen auf!“ Betretenes Schweigen.
„Und jetzt geht raus und wärmt Euch auf.
Wir sind heute 15 Mann! Bildet drei Fünfergruppen und fangt an mit vier gegen zwei!“

 

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Kategorisiert in Fußball

Von Dr. Jörg Hellmann

Ex-Pauker, Ex-Fußballer, Ex-Tennisspieler, Golfspieler. Studierender des täglichen Lebens und der sich darin abstrampelnden Menschen. Darüber schreibe ich.