Der angetrunkene Weihnachtsmann

Ich traf ihn da, wo man ihn am wenigsten erwartet: im Golfclubhaus. Dort saß er, der Weihnachtsmann, mit einer roten Nase, die nicht von der Kälte herrührte. Er saß hinten in der Ecke, hatte nichts im Sack und einen in der Kiste.
Ich war entgeistert und fragte besorgt und mitfühlend:
„Was bedrückt dich denn so, lieber Weihnachtsmann?“
„Weltschmerz“, jammerte er, „Weltschmerz, ich habe Weltschmerz!“
Er schob mir auch einen „Kümmerling“ rüber. Ich legte tröstend meinen Arm auf seinen roten Samtmantel:
„He, Weihnachtmann, komm, erzähl mir! Was quält dich?“
Er fuhr auf: „Ihr Menschen macht mich zu einer Lachnummer. Ein grotesker Wunsch jagt den nächsten. Oma wünscht sich Frieden in Afghanistan. Mama wünscht sich für alle Menschen Glück und Gesundheit, für alle. Und der fünfjährige Adriano-Merlin wünscht sich ein Schwesterchen. Warum kann der sich nicht einfach einen Nintendo wünschen, Mama sich `n Kochbuch und Oma eine Flasche Doppelherz…“
Er leerte sein „König Pilsener“ in einem Zug und fuhr verbittert fort:
„Ich habe keine Erfolgserlebnisse mehr. Wunsch für Wunsch muss ich abschlagen. Wie ein Versager stehe ich da!“
Er tat mir leid. Und Recht hatte er.
„Höre“, sagte ich, „ich mache dir einen Vorschlag. Ich äußere ein paar ganz einfache Wünsche. Die erfüllst du mir zu Weihnachten, dann geht es dir besser.“
Er sah mich hoffnungsfroh an:
„Einverstanden, fang an!“
„Ich wünsche mir beim Golf einen neuen Hüftschwung!“
„Deine Hüftdrehung ist in Ordnung!“
„Das sehen Golfbälle aber ganz anders!“
„Doch, dein Hüftschwung ist in Ordnung. Nur der Zeitpunkt stimmt nicht!“
„Dann schenk mir den richtigen Zeitpunkt!“
„Das kann ich nicht. Für die Zeit ist der Chef selber verantwortlich!“
„Und wofür bist du zuständig?“
„Für Socken, Unterhosen und Schlipse!“
„Und an wen soll ich mich wenden, wenn ich den Chef selbst sprechen will?“
„An Papst Benedikt XVI.“
„Im Ernst?“
„Ach was, kleiner Scherz von mir!“
Der Weihnachtsmann nahm sich einen neuen Kümmerling und kippte ihn in einem Zug weg.
„Du solltest langsam aufhören!“ sagte ich mit Blick auf seinen Zustand mitfühlend.
„Das hätte mal lieber einer der Käßmann sagen sollen!“ erwiderte er trotzig.
Ich beschloss, seinen benebelten Zustand auszunutzen. Allerdings brauche ich im Moment weder Unterhosen noch Socken.
Also versuchte ich es mit folgender Bitte:
„Ich wünsch mir übrigens, dass ich bei den Senioren einmal Bruttosieger werde!“
„Ganz schön unverschämt“, polterte der Weihnachtsmann.
„Wünsch dir stattdessen ein neues Clubhaus mit Schwimmbad, das ließe sich machen!“
„Machst du Witze?“
„Ja!“
Plötzlich fiel mir ein, ihn zu fragen, was ich schon immer mal wissen wollte:
„Sag mal, Weihnachtsmann, wird im Himmel eigentlich Golf gespielt?“
„Na klar, und wie!“
„Spielt dein Chef auch Golf?
„Na klar, und wie! Er spielt himmlisches Golf.“
„Gegen wen?“
„Matchplay gegen Mulligan!“
„Sehr vielversprechend! Und der Teufel?“
„Der hasst das Golfspiel, wohl wegen seines Klumpfußes! Vielleicht auch, weil sein Äußeres nicht der Etikette auf dem Golfplatz entspricht! “
Die Tür ging auf, Peter kam.
„Hallo Peter“, rief ich zum Chef der Senioren, „der Weihnachtsmann ist hier, du kannst dir was wünschen!“
Da die Weihnachtsfeier der Büntefüchse anstand, rief Peter beglückt:
„Dich schickt der Himmel!“
„Da ist was dran!“ erwiderte der Weihnachtsmann trocken.
„Also, ich wünsche mir, dass bei unseren Turnieren nicht mehr geschummelt wird!“
„Schummeln ist Teufelswerk!“ entgegnete der Weihnachtsmann.
„Das wissen wir selber, aber du sollst was dagegen unternehmen!“
„Das hab ich euch doch gerade gesagt, dafür ist der Teufel zuständig!“
„Dann wünsch ich mir, dass bei uns alten Herren weniger rumgemeckert wird!“ bettelte der Häuptling der Truppe.
Der Weihnachtsmann verdrehte die Augen und fegte einen weiteren Kümmerling weg.
„Peter“, sagte er, „du hast immer ein paar, die rummäkeln! Da kann auch ich nichts machen. Außerdem: auch Ressort von Luzifer!“
„Wofür ist er denn noch alles zuständig? Etwa für die Greenfees in Spanien?“
„Ja!“
„Für die Luftfrachtbeförderungskosten bei Golf-Bags?“
„Dafür ist auch der Teufel zuständig!“
„Für den Euro?“
„Ja!“
„Für Dieter Bohlen?“
„Auch er!“
„Und für Jürgen Trittin?“
„Der ist eine Strafe Gottes!“
„Und für Sigmar Gabriel?“
„Für den seid ihr selber zuständig!“
Ich fand es sehr aufschlussreich, mal ein paar Einsichten in die Organisationsstruktur des Himmelreichs zu kriegen.
„Wie wäre es“, sagte Peter, „wenn ich mir wünsche, dass ich in Zukunft nur noch Birdies spiele!“
Der Weihnachtsmann machte ein betrübtes Gesicht. Zack noch einen Kümmerling.
„Kann ich nicht stattdessen all eure Grüns sanieren?“
„Na, gut“, sagte Peter, „das geht auch!“
„Hast du sonst noch Wünsche?“
„Dass donnerstags die Sonne scheint!“
„Petrus` Sache!“
„Dass der Vorstand uns nicht wegen eines vorgabewirksamen Spieles Geld abknöpfen will!“
„Genehmigt! Ich kläre das mit dem Teufel!“
Der Weihnachtsmann kam in Geberlaune:
„Jetzt hat jeder von euch beiden noch einen letzten Wunsch frei“, sagte er zu Peter und mir.
„Ich könnte einen neuen Driver gut gebrauchen“, sagte ich zaghaft.
„Und ich brauche ein neues Auto.“
Ich ärgerte mich über meine Bescheidenheit, aber nun war es zu spät.
„Seht Ihr“, triumphierte der Weihnachtmann und seine Tränen versiegten, „das nenn ich realistische Wünsche!“
Und dann gab er noch eine Runde aus.

Aus : Jörg Hellmann
„Kleine Geschichten über Golf“   ISBN: 978-3-9810380-8-8      Bahn 6 S. 40 ff.

Von Dr. Jörg Hellmann

Ex-Pauker, Ex-Fußballer, Ex-Tennisspieler, Golfspieler. Studierender des täglichen Lebens und der sich darin abstrampelnden Menschen. Darüber schreibe ich.