Schöner Golftag

Es war ein schöner, sonniger Spätsommertag, wie geschaffen für ein fabelhaftes Golferlebnis.
Und dann noch ein Freundschaftsspiel, was will man mehr. Ich fühlte mich gut, war tatendurstig und wollte großartiges Golf spielen, jedenfalls für meine Verhältnisse. Meine Euphorie hätte mich warnen sollen, aber ich habe nicht hingehört.
Meine Zuversicht wurde etwas getrübt, als ich erfuhr, dass ein Zählspiel angesagt war. Zählspiele sind was für richtige Golfer. Für Leute wie meinen Partner aus der anderen Mannschaft, der mit einem unverschämten Handicap von 9,4 daherkam. Einstellig! Respekt!
Die Begrüßung zwischen uns beiden war überaus freundlich, er bot mir großzügig das Tagesdu an. Ich war mir nicht ganz im Klaren: Bis wann gilt eigentlich so ein Tagesdu? Ich sah auf die Uhr, es war 11.34 h. Gilt es bis zum anderen Tag um 11.34 h? Oder nur bis abends 24 Uhr. Oder nur so lange, bis wir uns streiten? Ich Idiot nahm trotzdem das alberne Tagesdu an.
Immerhin, ab 11.35h duzte ich mich mit Ralf-Rüdiger!
Seine Ausrüstung war phänomenal. Er hatte einen sündhaft teuren Elektro-Trolley mit hydro-pneumatischem Faltmechanismus, Geschwindigkeitsregler mit integriertem Ein- und Ausschalter, wahlweise für Links- und Rechtshandbetrieb. Ich schob meine alte Karre, bei der das rechte Rad eiert, neben ihm her.
Auf dem Weg zur Eins erzählte er mir, dass er nur noch gewuchtete Golfbälle mit ausbalanciertem Ballflug spiele. Ich dachte beschämt an die Shamp-Nudeln von Aldi, die ich für den heutigen Tag ausgewählt hatte.
Sein erster Abschlag war genauso wie ich befürchtet hatte! Der Ball segelte schier endlos schnurgerade und landete mitten auf dem Fairway. Mein erster Schlag war genauso, wie ich befürchtet hatte! Der Ball erhob sich in die Lüfte, segelte nach links, überflog behende den Zaun und gesellte sich schamlos zu seinen Artgenossen auf der Driving Ranch.
„Den brauchen wir – Gott sei Dank – nicht zu suchen“, sagte Ralf-Rüdiger.
Ich schwieg zerknirscht. Dann versuchte ich mich zu konzentrieren und sprach meinen zweiten Ball an: „Wehe du Krüppel fliegst jetzt auch irgendwo links in die Büsche!“
Meine kleine, warnende Ansprache schien gewirkt zu haben, er segelte nach rechts und unter die Bäume.
Ralf-Rüdiger raunte im Hintergrund:
„Von wegen, den Zweiten kann jeder!“
Meine restlichen Schläge auf der ersten Bahn blieben auf kümmerlichem Niveau. Ich spielte eine 10, er spielte halb so viel.
„Was hast du bei mir gezählt?“ fragte Ralf-Rüdiger.
„5! Und du bei mir?“
„Gezählte zehn, gefühlte zwölf!“
Ich schluckte, weil ich ihm nicht schon beim ersten Loch meinen Schläger über die Rübe hauen wollte.
Auf der zweiten Bahn war sein Abschlag wiederum begnadet. Das muss ich neidlos anerkennen, zumal mein erster Ball kurz hinter den roten Pflöcken des Damenabschlages verendete.
Ralf Rüdiger kommentierte fachmännisch:
„Sehr übersichtlicher Drive. Den finden wir sofort. Das ist der Segen des kurzen Abschlages!“
Er landete mit dem zweiten Schlag auf dem Grün, ich mit dem vierten im Bunker. Immerhin blieb ich mit meinen Versuchen beim zweiten Loch einstellig.
Ab dem dritten Tee ging Ralf-Rüdiger dazu über, mir gute Ratschläge zu geben.
„Du stehst beim Abschlag so komisch, kein Wunder dass deine Bälle durch die Gegend fliegen!“
„Wir sind ein freies Land, ich kann meine Bälle hinschlagen, wo ich will“, erwiderte ich trotzig.
Es war aber auch zum Verzweifeln. Mir schien, dass er nur so vorzüglich spielte, um mich zu demütigen.
„Ich glaube, ich habe immer noch die Ehre“, meinte er grinsend beim Abschlag auf der Vier!
Das Dreierloch. Wuff! Sein Abschlag wieder bis an den Rand des Grüns.
Wuff! Mein Abschlag wieder bis an den Rand des Bunkers, von innen gesehen.
Ralf-Rüdiger kommentierte fachmännisch: „Die Länge ist jetzt in Ordnung, die Richtung kriegen wir später!“
Auf den nächsten Bahnen änderte sich das Gesamtbild wenig. Ich betete still und inbrünstig zum Golfgott, Ralf-Rüdiger möge in die Erde hauen, sein Trolley möge zusammenbrechen oder er möge einen Herzinfarkt kriegen, nichts dergleichen passierte.
Während er unbeirrt seine Bahnen zog, schulte ich meine Augen bei der Suche in Rough und Unterholz, lotete die Grenzen meiner Frustrationstoleranz aus und kämpfte erfolglos gegen meinen inneren Groll.
Ab der sechsten Bahn überlegte ich, ob ich Ralf-Rüdiger das Tagesdu wieder entziehen sollte, oder ob ich die Runde beenden sollte, indem ich den Bruch meines rechten Oberschenkels vortäusche.
Endlich hatten wir die ersten neun Bahnen hinter uns. Halbzeitpause. Ich konnte im Klubhaus einen Kaffee trinken. Ralf-Rüdiger plauschte mit mir jovial und von oben herab. Dass er schon in St. Andrews gespielt habe und in Augusta.
Ich erwiderte:
„Ich habe auch schon mal in Gleidingen gespielt!“
Er musterte mich und schien zu merken, dass ich ihn verarschte. Ich kriegte Oberwasser.
Wir standen auf der Zehn.
Majestätisch und bedrohlich zugleich erhoben sich die Bäume links und rechts der Bahn.
Ralf-Rüdigers Ausholbewegung war formvollendet wie immer, und dann raste die weiße Kugel mit großer Geschwindigkeit auf den Wald zu.
„Klack, klack, klack!“ machte es in irgendwelchen Baumstämmen, und ich dachte an Neil Diamonds berühmtes Lied: „What a beautiful noise!“
Ralf-Rüdiger fluchte, und ich tröstete ihn:
„Das kann doch jedem mal passieren!“
Ich glaube, ich muss nicht extra erwähnen, dass mein Abschlag auf der Zehn vom Allerfeinsten war. Ich spielte anschließend ein Par, und er spielte anschließend furchtbar.
Die Verhältnisse begannen sich langsam umzukehren, auf eine merkwürdige Weise wurde Ralf-Rüdiger immer unsicherer.
Still vor sich hin murmelnd „Ich verstehe es nicht!“ trottete er über den Platz. „Was ist denn jetzt bloß los?“ „Das ist mir ja noch nie passiert!“
Ich ermunterte ihn jovial und von oben herab, man könne schließlich nicht jeden Tag sein Handicap spielen.
„Du bist bei deinem Schlag eben zu sehr von außen gekommen“, analysierte ich fachmännisch seine missglückte Annäherung. Das hatte ich irgendwo mal aufgeschnappt, weiß aber nicht, was das bedeutet. Das war in diesem Fall auch völlig irrelevant.
Mir schien, als ob er mit dem Gedanken spielte, mir seinen Schläger über die Rübe zu hauen.
Auf der Elf versuchte Ralf-Rüdiger sein seelisches Tief in Grenzen zu halten, indem er es mit dem Zählen nicht mehr so genau nahm, jedenfalls, was seine eigenen Schläge anging. Ich sah bei ihm eine Acht, er behauptete eine Sechs, wir einigten uns auf die Sieben, ich will mich doch beim Golf nicht streiten.
Auf Loch 12 leitete ich die Feindseligkeiten ein mit der Bemerkung: „Ich glaube, ich habe immer noch die Ehre!“
Ralf-Rüdiger machte ein Gesicht, das nach Entzug des Tagesdu aussah. Sein Abschlag flog suboptimal und verkrümelte sich außerhalb der Sicht.
Ralf-Rüdiger fand diesen Ball rechts am Waldrand an einer Stelle wieder, die ich vorher genauestens abgesucht hatte. Armes Schwein, dachte ich, dass du das Schummeln nötig hast. Ich beendete das Loch mit einem Par.
Loch 13 spiele ich ohnehin immer sehr gerne und schaffte ein Birdie, seine Annäherung misslang, und auf dem Grün verschob er seinen Ball in einem Moment, in dem er sich nicht beobachtet fühlte.
Kurzum, er war kläglich.
Nun gut, ich gebe zu, auf den letzten Löchern wechselte das Schlachtenglück, er hatte sich wieder eingekriegt und konnte die Verhältnisse zwischen uns geraderücken. Er spielte gutes Golf, und ich versuchte, Golf zu spielen. Aber Ralf-Rüdiger gab mir keine Tipps mehr und kommentierte nicht weiter meine komischen Schläge. Am Ende saßen wir friedlich auf der Bank und lasen uns gegenseitig die Ergebnisse vor. Ich bedankte mich artig und ohne Hintergedanken für das ,schöne‘ Spiel.

Die Sonne schien immer noch, und es war ein herrlicher Spätsommertag. Ein fabelhafter Golf-Nachmittag ging zu Ende. Ich war bestens gelaunt, auch wenn ich sicher sein konnte, dass ich meinen Namen auf der Siegerliste etwas weiter hinten suchen müsste. Das war mir egal. Stattdessen dankte ich inbrünstig dem Golfgott für die vier Bahnen, die er mir im Wald gegen Ralf-Rüdiger geschenkt hatte.

 

Von Dr. Jörg Hellmann

Ex-Pauker, Ex-Fußballer, Ex-Tennisspieler, Golfspieler. Studierender des täglichen Lebens und der sich darin abstrampelnden Menschen. Darüber schreibe ich.