Biologieunterricht

LEBENSNAHER BIOLOGIEUNTERRICHT FÜR SECHSJÄHRIGE

Lennart ist gerade sechs geworden, er ist unser Enkel. Sein Wissensdurst ist ungeheuer und es wird Zeit, dass er zur Schule kommt, damit ihm von kompetenter Seite Antworten auf seine vielen Fragen gegeben werden. Mindestens jeder zweite Satz beginnt bei ihm mit: „Warum…?“, der Rest mit: „Wieso…?“ Meine Frau kann etwa 32, 2 Prozent der Fragen richtig beantworten, ich etwa 17,8 Prozent, die restlichen 50 Prozent bleiben im Dunkeln. Dann behelfen wir uns mit Ausflüchten, ausgeklügelten Ablenkungsmanövern („Willst Du ein Eis?“) oder mit Antworten von geringem Wahrscheinlichkeitswert.

Lebensnaher Biologieunterricht für Sechsjährige

Der Bengel will aber auch manchmal merkwürdige Sachen wissen!!
Wir werkeln mit Lenny im Garten und finden eine Schnecke. Schon folgt die erste Frage: „Opa, wieso hat die Schnecke ein Schneckenhäuschen aus gelb – schwarzen Farben?“ Was soll man darauf antworten? Mir fällt keine naturwissenschaftlich wertvolle Antwort ein? Also erkläre ich ihm:
„Weil die Schnecke Fan von Borussia Dortmund ist!“
„Red doch nicht so einen Quatsch“, fährt Oma dazwischen.
„Hast du eine bessere Erklärung?“ frage ich spöttisch zurück. Sie hat keine, wusste ich es doch.
Und da ich gerne Lennys Eifer entfache, fordere ich ihn auf:
„Lass uns doch auch mal nach blau-weißen HSV – Fans unter den Schnecken suchen!“ Oma richtet verzweifelte Blicke gen Himmel und ist diesen fragwürdigen Biologieunterricht leid.
„Lennart, ich muss mal eben zum Einkaufen, willst du mit?“
Natürlich will er mit, weil er weiß, dass er sich wieder irgendwelchen Schnickschnack aussuchen darf; statt sich auf die pädagogisch sinnvolle Suche nach blau-weißen HSV – Schnecken zu konzentrieren.
Nach kurzer Zeit kommen Oma und Lenny zurück. Sie haben unter anderem „Frische Landeier“ mitgebracht. Schon kommt die nächste Frage.
„Opa, ist in dem Ei ein Küken drin?“
Ich antworte vorsichtig:
„Weiß ich nicht, vielleicht!“
Oma fährt mir wieder in die Parade:
„Nein, Lenny, das Ei hat schon eine ganze Zeit im Kühlregal gelegen, da kann kein Küken mehr rauskommen.“
„Warum nicht?“
„Weil ein Ei ausgebrütet werden muss.“
Ich halte mich vornehm zurück, schließlich habe ich Germanistik studiert und nicht Biologie. Doch plötzlich bin ich gefordert, als Lennart fragt:
„Warum werden die Eier aufgebrütet?“
Ich korrigiere fachmännisch:
„ Ausgebrütet, Lenny! Eier werden ausgebrütet!“
Oma nickt anerkennend. Na, also, es geht doch.
Lennart hakt nach und bringt gekonnt sein Vorwissen ein:
„Da muss man doch erst ein Nest aus Heu bauen und dann geht der Hahn auf das Ei drauf!“
Wieder trumpfe ich mit meinen überlegenen Kenntnissen auf:
„Nein, das Huhn geht auf das Ei drauf. Der Hahn geht nur auf das Huhn drauf.“
Oma guckt mich empört von der Seite an.
„Na, und,“ sage ich, „wenn schon Biologieunterricht, dann gleich mit allem Drum und Dran….“
Um der frühzeitigen Verdorbenheit des Nachwuchses nicht weiter Tür und Tor zu öffnen, nimmt nun Oma die Aufklärung des „Ausbrütens“ selbst in die Hand:
„Weißt du, Lenny, damit so ein Küken schlüpfen kann, muss das Ei ganz lange warm gehalten werden. Deswegen setzt sich die Henne mit ihrem Po so lange auf das Ei, bis das Küken rauskommen kann…“
Seit wann haben Hühner einen Po, dass ich nicht lache. Aber ich sage nichts, um Omas Autorität nicht zu untergraben.
Die Sache mit dem Ausbrüten lässt Lennart nicht ruhen:
„Dann können wir das Ei doch auch unter ein warmes Kissen legen“.
Ich finde diese Feststellung von Lenny klug, aber Oma belehrt ihn:
„Das funktioniert nicht!“
„Warum nicht?“
Jetzt sitzt meine Frau in der Tinte, geschieht ihr recht. Ich vermittele.
„Wir können es ja mal probieren.“
Also wird ein rohes Ei unter ein Kissen auf dem Sofa platziert, und Lenny ist es zufrieden. So vergeht der Nachmittag mit endloser Fragerei und Lenny wird von Oma und Opa in die Geheimnisse des Lebens eingeführt. Schließlich wird der Enkel wieder von seinen Eltern abgeholt. Kaum ist Lenny weg, lasse ich mich erschöpft auf das Sofa plumpsen, auf eben jenes Kissen, das gerade ein rohes Ei auszubrüten versucht…..

Aus: „Kleine Geschichten über Enkel“
(2.Auflage) ISBN: 978-3-9810380-1-9, S.19 ff.

 

Von Dr. Jörg Hellmann

Ex-Pauker, Ex-Fußballer, Ex-Tennisspieler, Golfspieler. Studierender des täglichen Lebens und der sich darin abstrampelnden Menschen. Darüber schreibe ich.